Der Wiener Zentralfriedhof ist weit mehr als nur eine letzte Ruhestätte. Er ist eine grüne Oase inmitten der Großstadt, ein Spiegelbild der österreichischen Geschichte, ein Ort der Kunst, Musik und Erinnerung. Mit rund drei Millionen Bestatteten ist er einer der größten Friedhöfe Europas – und dennoch herrscht hier eine beinahe andächtige Stille. Besucher:innen kommen nicht nur, um ihrer Verstorbenen zu gedenken, sondern auch um den einzigartigen Charakter des Friedhofs zu erleben. Dieser Blogbeitrag führt dich auf eine Entdeckungsreise durch den Wiener Zentralfriedhof und seine vielen Facetten.
Ein Friedhof mit Dimensionen
Der Wiener Zentralfriedhof wurde 1874 als multireligiöse Begräbnisstätte konzipiert, da die bestehenden Friedhöfe Wiens für die wachsende Bevölkerung nicht mehr ausreichten. Heute umfasst er eine Fläche von etwa 2,5 Quadratkilometern – das entspricht in etwa der Größe des 1. Wiener Gemeindebezirks.
Der Friedhof liegt im 11. Bezirk, Simmering, und ist bequem mit der Straßenbahnlinie 71 oder der S-Bahn erreichbar. Viele Wiener:innen sagen scherzhaft: „Der 71er bringt dich zum Zentralfriedhof.“
Geschichte und Anlage
Der Zentralfriedhof wurde nach Plänen der Architekten Karl Jonas Mylius und Alfred Friedrich Bluntschli als Parkfriedhof gestaltet. Die Hauptallee führt schnurgerade durch die Anlage und ist gesäumt von Bäumen, die im Herbst in leuchtenden Farben erstrahlen. Zahlreiche Nebenalleen und Abteilungen machen den Friedhof zu einem Labyrinth der Geschichte.
Die Friedhofsanlage ist in verschiedene konfessionelle Bereiche unterteilt:
- Katholischer Bereich
- Evangelischer Friedhof
- Jüdische Abteilungen (alter und neuer Teil)
- Muslimische Abteilung
- Orthodoxe Gräberfelder
Diese Vielfalt macht den Zentralfriedhof zu einem Symbol der religiösen Toleranz in Österreich.
Ehrengrab-Abteilung: Die letzte Ruhestätte der Berühmten
Der bekannteste Teil des Zentralfriedhofs ist die Ehrengrab-Abteilung (Gruppe 32A), wo zahlreiche berühmte Persönlichkeiten begraben sind. Hier liegen:
- Ludwig van Beethoven (verlegt vom Währinger Ortsfriedhof)
- Franz Schubert
- Johannes Brahms
- Johann Strauss Vater & Sohn
- Udo Jürgens (unter einem Marmorklavier)
- Falco
- Hans Moser
- Helmut Qualtinger
- Clemens Holzmeister (Architekt der Friedhofskirche)
Ein Spaziergang durch diese Abteilung ist wie ein Gang durch die Musik- und Kulturgeschichte Österreichs.
Die Friedhofskirche zum Heiligen Karl Borromäus
Ein architektonisches Juwel im Zentrum des Friedhofs ist die Karl-Borromäus-Kirche, besser bekannt als Dr.-Karl-Lueger-Gedächtniskirche. Sie wurde 1910 im Stil des Wiener Jugendstils erbaut und gilt als eine der schönsten Friedhofskirchen Europas. Ihr Kuppelbau mit grüner Patina, der lichtdurchflutete Innenraum und das Mosaik des segnenden Christus sind beeindruckende Zeugnisse der damaligen Architektur.
Die Kirche ist nicht nur ein Ort für Begräbnismessen, sondern auch für Konzerte und kulturelle Veranstaltungen geöffnet.
Der Alte Jüdische Friedhof
Ein besonders berührender Teil ist der alte jüdische Friedhof (Tor 1), der 1879 angelegt wurde und nach der Zeit des Nationalsozialismus teilweise zerstört ist. Viele Grabsteine sind umgestürzt oder überwuchert, was der Anlage eine melancholische Atmosphäre verleiht.
Hier ruhen bedeutende jüdische Persönlichkeiten wie der Rabbiner Adolf Jellinek oder der Historiker Heinrich Graetz. Der neue jüdische Friedhof (Tor 4) ist in aktivem Gebrauch und ebenfalls einen Besuch wert.
Kunst am Grab
Der Zentralfriedhof ist auch ein Freilichtmuseum der Grabmalkunst. Von monumentalen Mausoleen bis zu schlichten Grabplatten ist alles zu finden. Viele Gräber wurden von namhaften Bildhauern gestaltet – oft spiegeln sie den Stil ihrer Epoche wider, etwa den Historismus, Jugendstil oder die Moderne.
Einige der eindrucksvollsten Denkmäler:
- Das Grab von Johannes Brahms (mit Büste und Lyra)
- Die monumentale Grabanlage von Karl Lueger
- Das Grabmal der Familie von Hugo von Hofmannsthal
Tiere am Zentralfriedhof
Wer genau hinsieht, entdeckt eine besondere Tierwelt: Rehe, Feldhasen, Marder und unzählige Vogelarten nennen den Zentralfriedhof ihr Zuhause. Die weitläufige Parklandschaft bietet einen idealen Lebensraum für Wildtiere.
Ein Rundgang kann so auch zu einer kleinen Safari werden – besonders früh morgens oder in der Abenddämmerung.
Der Friedhof als Kulturort
Der Zentralfriedhof wird zunehmend auch als Kulturraum wahrgenommen. Neben Konzerten in der Luegerkirche gibt es geführte Themenrundgänge, etwa zu Musiker:innen, Architekten oder Frauen am Friedhof. Auch Nachtführungen und literarische Spaziergänge stehen auf dem Programm.
Das kleine Friedhofsmuseum am Tor 2 zeigt skurrile Fundstücke, Totenkronen und Uniformen der Friedhofsgärtner und Bestatter.
Im Herbst findet alljährlich die Veranstaltungsreihe „Lange Nacht der Friedhöfe“ statt – mit Musik, Lesungen und Führungen.
Kulinarik und Pausenorte
Wer eine Pause braucht, kann im Café am Tor 2 einkehren. Hier gibt es Mehlspeisen, Kaffee und kleine warme Gerichte. Auch das berühmte Gasthaus Concordia Schlüssel in Simmering bietet typische Wiener Küche in Friedhofsnähe.
Für ein Picknick eignet sich die grüne Wiese hinter dem Ehrengrab-Areal – allerdings immer mit Respekt und Bedacht.
Tipps für Besucher:innen
- Anfahrt: Linie 71 (Straßenbahn) oder S-Bahn bis „Zentralfriedhof“
- Öffnungszeiten: Täglich geöffnet, im Winter kürzer
- Eintritte: Kostenlos, Führungen gegen Gebühr
- Besondere Eingänge: Tor 1 (jüdischer Bereich), Tor 2 (Haupteingang), Tor 3 (Luegerkirche), Tor 11 (Tierfriedhof)
- Barrierefreiheit: Gut erschlossen, auch für Rollstuhlfahrer:innen geeignet
Fazit: Der Zentralfriedhof lebt
Der Wiener Zentralfriedhof ist ein Ort voller Geschichten, voller Leben im Gedenken an das Vergangene. Er ist ein Spaziergang durch Epochen, ein Ort der Stille und der Kunst, ein Platz zum Nachdenken, Lernen und Staunen.
Ob man die Promigräber besucht, seltene Tiere beobachtet oder einfach die Atmosphäre genießt – der Zentralfriedhof zeigt, dass ein Friedhof weit mehr sein kann als ein Ort der Trauer. Er ist ein Teil Wiens, der unter die Haut geht. Und jeder Besuch bringt neue Eindrücke und Entdeckungen.
Wer Wien wirklich kennenlernen möchte, sollte den Zentralfriedhof nicht auslassen. Hier liegen nicht nur die Großen der Geschichte begraben – hier lebt die Erinnerung an eine Stadt, die den Tod nicht fürchtet, sondern ihn mit Stil und Würde zelebriert.