Die Gemeine Skorpionsfliege: Faszinierender Nützling mit skurrilem Aussehen

17. April 2025

Gemeine Skorpionsfliege

© Österreich Blog

Sie sieht aus wie ein Insekt aus einem Science-Fiction-Film: langes Gesicht, durchsichtige Flügel mit dunklen Adern und ein auffällig nach oben gebogener Hinterleib. Die Gemeine Skorpionsfliege (Panorpa communis) sorgt bei vielen Spaziergänger:innen und Naturfreund:innen für Verblüffung und manchmal sogar für Schrecken. Doch keine Sorge: Sie ist vollkommen harmlos, ja sogar ausgesprochen nützlich. In diesem Blogbeitrag widmen wir uns auf rund 2000 Wörtern dem Leben, Verhalten, Aussehen und der ökologischen Rolle dieses faszinierenden Insekts in Österreich.

Systematik und Einordnung

Die Gemeine Skorpionsfliege gehört zur Ordnung der Mecoptera, zu Deutsch: Schnabelfliegen. Die Familie der Skorpionsfliegen (Panorpidae) umfasst etwa 550 Arten weltweit, in Mitteleuropa sind rund 4 Arten vertreten. Die bei uns häufigste ist Panorpa communis.

Sie wird zwischen 10 und 15 Millimeter lang und ist leicht an ihren netzartig gezeichneten Flügeln, dem schnabelartigen Kopf und dem gebogenen Hinterleib der Männchen zu erkennen, der an einen Skorpionsstachel erinnert – daher der Name. Dieser „Stachel“ ist jedoch kein Wehrorgan, sondern das Genital des Männchens.

Verbreitung und Lebensraum in Österreich

Die Gemeine Skorpionsfliege ist in ganz Österreich weit verbreitet. Man findet sie vor allem in:

  • feuchten Wäldern und Waldrändern
  • Heckenlandschaften
  • Gebüschreichen Wiesen und Bachtälern
  • Gärten mit altem Baumbestand

Besonders wohl fühlt sie sich in kühleren, schattigen und feuchten Biotopen mit viel Totholz, Laub und Staudenbewuchs. In den warmen Sommermonaten (Mai bis August) ist sie aktiv und gut zu beobachten.

Merkmale im Detail

Kopf: Deutlich länglich ausgezogen, mit einem „Schnabel“, an dessen Spitze die Mundwerkzeuge sitzen.

Augen: Groß, kugelig, seitlich am Kopf – gutes Sehvermögen

Flügel: 2 Paar durchsichtige Flügel mit dunklem Adermuster

Hinterleib: Männchen mit charakteristischem, gebogenem Endsegment; Weibchen mit geradem Hinterleib und Legeapparat

Fortpflanzung und Balz

Die Paarung der Skorpionsfliegen ist besonders bemerkenswert. Männchen präsentieren den Weibchen ein „Hochzeitsgeschenk“ in Form eines toten Insekts oder eines Tropfens Speichelsekret. Dieses sogenannte „Brautgeschenk“ soll das Weibchen beschwichtigen und ihre Paarungsbereitschaft erhöhen.

Kommt es zur Paarung, verbindet sich das Männchen mit seinem Greiforgan am Hinterleib mit dem Weibchen. Die Begattung dauert mehrere Minuten bis zu einer halben Stunde. Danach legt das Weibchen die Eier in feuchten Boden oder unter Laub.

Larvenentwicklung

Die Larven der Gemeinen Skorpionsfliege erinnern an Raupen und leben im Bodenstreu. Sie ernähren sich von abgestorbenen Insekten und pflanzlichem Material. Die Verpuppung erfolgt nach mehreren Wochen im Boden, meist im Spätsommer.

Der komplette Lebenszyklus dauert rund 6 bis 8 Wochen. In Österreich gibt es meist eine, seltener zwei Generationen pro Jahr.

Nahrung und Verhalten

Skorpionsfliegen sind Aasverwerter und fressen tote Insekten, tote Regenwürmer, Pflanzensäfte und verwelkte Pflanzenteile. Gelegentlich nehmen sie auch Pollen auf. Durch diese Ernährungsweise leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Zersetzung organischer Materie und zur Sauberhaltung von Lebensräumen.

Ihr Verhalten ist vorsichtig und eher ruhig. Sie fliegen wenig und setzen sich oft auf Blätter, um dort regungslos zu verweilen. Bei Gefahr lassen sie sich zu Boden fallen oder fliehen mit einem kurzen, ruckartigen Flug.

Bedeutung für das Ökosystem

Trotz ihrer Unscheinbarkeit haben Skorpionsfliegen eine wichtige Funktion:

  • Zersetzen Kadaverreste und Pflanzenteile
  • Füttern ihre Larven mit Aas – alternative Recyclingstrategie
  • Dienen als Nahrung für Vögel, Amphibien, Spinnen und größere Insekten

Ihre Anwesenheit ist ein Indikator für intakte, naturnahe Habitate mit feuchtem Mikroklima und strukturreicher Vegetation.

Beobachtung in der Natur

Wer Skorpionsfliegen beobachten möchte, sollte sich zwischen Mai und August in feuchten, schattigen Bereichen mit viel Laub, alten Baumstämmen oder Stauden aufhalten. Gute Orte in Österreich sind etwa:

  • Donau-Auen Nationalpark
  • Naturpark Leiser Berge
  • Lainzer Tiergarten (Wien)
  • Feuchtwiesen und Waldränder in der Steiermark und im Mühlviertel

Ein gutes Fernglas oder eine Kamera mit Makroobjektiv hilft, Details wie Flügelstruktur oder das markante „Skorpionsorgan“ der Männchen zu erkennen.

Skorpionsfliegen im Garten

Auch im naturnahen Garten kann man Skorpionsfliegen finden, wenn einige Voraussetzungen gegeben sind:

  • Wildwuchs-Zonen mit Brennnesseln, Himbeeren, Disteln
  • Laubhaufen, Kompost oder alte Baumstämme
  • Feuchte Bodenzonen, Mulch, Moos
  • Kein Einsatz von Pestiziden oder Kunstdünger

Sie sind völlig ungefährlich für den Menschen und sollten geschont werden.

Mythen und Irrtümer

Viele Menschen halten Skorpionsfliegen fälschlicherweise für gefährliche Tiere. Doch:

  • Sie können nicht stechen oder beißen.
  • Der „Stachel“ ist kein Giftorgan, sondern nur ein Fortpflanzungsmerkmal.
  • Sie sind nützlich und harmlos.

Sie zu beobachten ist nicht nur lehrreich, sondern auch ein guter Anlass, Kindern und Jugendlichen die Vielfalt der heimischen Insektenwelt nahe zu bringen.

Wissenschaftliche Bedeutung

In der Evolutionsbiologie gelten die Schnabelfliegen als interessante Bindeglieder zwischen verschiedenen Insektengruppen. Ihre Merkmalskombinationen geben Hinweise auf frühzeitliche Entwicklungslinien. Zudem werden Skorpionsfliegen auch in der Gerichtsentomologie untersucht, da sie an Kadavern vorkommen und Hinweise auf Verwesungsprozesse geben können.

Fazit: Faszinierender Winzling mit großer Rolle

Die Gemeine Skorpionsfliege ist ein Paradebeispiel dafür, wie spannend vermeintlich „kleine“ Tiere sein können. Mit ihrer einzigartigen Gestalt, ihrem balzenden Brautgeschenk-Verhalten und ihrer Rolle als Aasverwerter zeigt sie eindrucksvoll, dass Vielfalt oft im Verborgenen liegt.

In einer Zeit, in der viele Insektenarten unter Druck stehen, ist der Erhalt naturnaher Lebensräume auch ein Schutz für Tiere wie die Skorpionsfliege. Sie braucht keinen Rummel, keine Blütenpracht – nur ein bisschen Schatten, Feuchtigkeit und Toleranz.

Wer genau hinsieht, entdeckt in ihr einen stillen Star des Waldbodens – fremdartig, faszinierend und absolut schützenswert.